Wie das Nervensystem von hochsensiblen Kindern funktioniert

Über die Sehnsucht von alleingeborenen Zwillingen

Das Nervensystem aller Menschen verfügt über drei verschiedene Regelkreise, mit denen wir auf die Umwelt reagieren. Um diese Regelkreise gut erklären zu können, vergleiche ich sie hier mit den Phasen einer Ampel. Das ist ein stark vereinfachtes , dafür aber sehr anschauliches Erklärungsmodel.

Wenn unser Nervensystem einen Reiz wahrnimmt, versucht es zunächst immer über den vorderen Ast des Vagusnervs zu reagieren. Das ist zum Beispiel bei einem entspannten Gespräch der Fall. Hier steht die Ampel auf Grün. Im grünen Modus sind soziales Miteinander und spontanes Verhalten möglich. Zwischen dir und deinem Kind ist Verbundenheit spürbar, es reagiert auf deine Ansprache, auf deine Mimik und Gestik. Es kann deine Information aufnehmen, darüber nachdenken und sein Verhalten darauf einstellen. Im grünen Modus lernen Kinder ganz einfach neue Dinge, sie können entspannen und sich erholen.

Da das Nervensystem von Kindern noch unausgereift ist, benötigt es immer wieder Zuwendung, positive Bestätigung und eine Atmosphäre der Sicherheit, um diesen grünen Modus halten zu können. Gelingt dies, schüttet das Gehirn des Kindes Dopamin als Belohnung aus, was weitere positive Interaktionen motiviert und das Nervensystem ausreifen lässt.

Werden Reize jedoch als Gefahr wahrgenommen, rutscht das Nervensystem deines Kindes in den nächsten Regelkreis, was bei Kindern mit Hochsensibilität besonders schnell passiert. Hier steht die Ampel auf Gelb. Da Kinder stark von ihren Bezugspersonen abhängig sind, empfinden sie viele Dinge als gefährlich. Das Gefühl, von den Eltern abgelehnt zu werden, bedeutet für ein kleines Kind Lebensgefahr. Ebenso, wenn wichtige Bedürfnisse wie Nahrung, Berührung und Nähe unbefriedigt bleiben. Im gelben Regelkreis ist der Sympathikus aktiv. Der Sympathikus ermöglicht es Säugetieren, zu fliehen oder zu kämpfen, wenn Gefahr droht.
Der gelbe Modus ist wichtig für Situationen, in denen sich dein Kind sich vor Angriffen oder Grenzverletzungen schützen muss. Da hochsensible Kinder sehr empfindlich auf scheinbar normale Umweltreize reagieren, steht ihre Ampel häufig auf Gelb. Oft genügt ein lautes Geräusch, ein helles Licht, ein kratzendes Kleidungsstück oder eine gestresste Stimmung der Eltern. Im gelben Modus ist ein entspannter Kontakt zur Umwelt nicht mehr möglich. Ein Kind, dessen Nervensystem sich im Kampf- oder Fluchtmodus befindet, empfindet starken Stress und hat dadurch weniger Kapazitäten für Wachstum und Entwicklung frei. Du kennst sicher solche Momente, in denen dein Kind entweder außer Rand und Band ist und kaum ansprechbar oder übermäßig angespannt, in sich gekehrt und äußerst schreckhaft. Jetzt braucht es die beruhigende Anwesenheit von engen Bezugspersonen. Dabei hilft es, Augenkontakt zu deinem Kind herzustellen, es sanft, aber bestimmt zu berühren und mit ruhiger Stimme zu sprechen. Nimm vorher selbst ein paar tiefe Atemzüge, damit du Ruhe ausstrahlen kannst. Ist dein eigenes Nervensystem im grünen Bereich, wird sich das unmittelbar auf dein Kind auswirken und es beruhigen.

Kann dein Kind den gelben Modus nicht überwinden, indem es die unangenehme Situation verlässt oder mit deiner Hilfe bewältigt, schaltet sein Nervensystem auf Rot. Hier ist der hintere Ast des Vagusnervs aktiv. Im roten Modus wirkt ein Kind ängstlich, blass, erstarrt und überwältigt. Überwältigende Situationen können Stürze sein, ein Hundebiss, ein notwendiger medizinischer Eingriff oder Gewalterfahrungen. Dabei sind hochsensible Kinder besonders gefährdet, da sie solche Situationen besonders intensiv erleben. Der rote Modus ist gefährlich, besonders für ein unausgereiftes kindliches Nervensystem, daher solltest du deinem Kind jetzt ganz viel Sicherheit geben, vor allem durch beruhigenden Körperkontakt, bis es wieder auf deine Ansprache reagiert. Auch hier ist es wichtig, zunächst selbst zur Ruhe zu finden, damit du diese Sicherheit ausstrahlen kannst. Der Traumaexperte Dr. Peter A. Levine und die Kindertherapeutin Maggie Kline beschreiben in ihrem Buch „Verwundete Kinderseelen heilen“ sehr eindrucksvoll, wie Eltern und Erziehende Kindern in überwältigenden Situationen helfen können, ihren Selbstheilungsprozess zu aktivieren und damit Kindheitstraumata vermieden werden können.

Da das Nervensystem von hochsensiblen Kindern besonders schnell aus dem grünen Modus heraus rutscht, sind alle Übungen besonders hilfreich, die den Vagusnerv aktivieren und damit den grünen Modus wieder herstellen können. Der Vagusnerv wird auch Selbstheilungsnerv genannt, weil er die Ampel wieder auf Grün schaltet, Grün für Entwicklung, Entspannung und Heilung. Eine tolle Möglichkeit für hochsensible Kinder ist es, Gefühle körperlich darzustellen. Wenn dein Kind traurig ist, lass es eine traurige Musik wählen, zu der es sich bewegen kann. Nun lass es dieses Gefühl ausdrücken, indem es seinen Körper dazu bewegt. Alles ist erlaubt: ruhige oder heftige Bewegungen, Seufzen, Schreien oder Weinen. Jeder körperliche Ausdruck hilft dem kindlichen Nervensystem, sich zu regulieren. Deine Anwesenheit schafft dabei den sicheren Raum, den dein Kind dafür benötigt. Wenn du dich zur Musik mitbewegst, gibt das deinem Kind den Mut, sich selbst auch auszudrücken. Bei Wut eignet sich eher eine schnelle, lebhafte Musik.

Weitere kindgemäße Übungen für das kindliche Nervensystem findest du in meinen Büchern:

Selbstbewusstsein stärken Kinder

für Kinder von 3 bis 13

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